Alles anders in 24h

Wie ein kleiner Junge mein Leben verändert hat

13.2.16 2:35
Der berechnete Geburtstermin ist verstrichen. Wir sind jetzt 5Tage drüber. Niemand aus der Familie hätte damit gerechnet, da es eigentlich eher üblich ist, dass die Kinder noch vor dem Termin kommen. Aber es ist ja auch eher üblich, dass es Mädchen werden. 
Ich überlege, ob ich noch etwas esse oder ob ich mich einfach ins Bett lege.
Kurz darüber nachgedacht, habe ich beschlossen mich schlafen zu legen.

13.2.16 3:26
Ich wundere mich, Warum ich schon wieder aufgewacht bin. Schließlich habe ich mich doch erst vor einer knappen Stunde hingelegt. Dann merke ich es. Ein eindeutiges ziehen im Unterleib. Mein Freund schläft neben mir. Nachdem der Schmerz vorbei ist drehe ich mich auf die Seite, weiß aber eigentlich ganz genau, dass ich nicht wieder einschlafen werde.
Ca 5Minuten später, die nächste Wehe.
8Minuten
10Minuten
10Minuten
Ich bin mir nicht sicher, ob ich liegen bleiben soll.
12Minuten
8Minuten
8Minuten
10Minuten
°
°
°

13.2.16 8:25
Ich beschließe aufzustehen und mich fertig zu machen. Die Abstände sind und bleiben unregelmäßig. Parallel zu meinen Wehen schreibe ich mit unseren Familien in einer Gruppe. Ich soll mich anziehen und in die Klinik fahren, sagen alle. Aber nach einem Anruf in der Klinik heißt es ganz anders. Und auch meine Hebamme sagt: „Erst, wenn die Wehen eine Stunde lang aller 5Minuten regelmäßig kommen, ist Kreißsaal-Zeit.“
Reaktion der Familie? „Die ham' ein' an der Klatsche!“
(Im Nachhinein weiß ich jetzt, dass meine Wehen NIE regelmäßig aller 5Minuten gekommen sind.)

13.2.16 9:12
Ich habe ein Taxi bestellt. Die Wehen tun so sehr weh, dass ich nicht mehr zu Hause sein möchte. (Wäre ich doch zu Hause geblieben….)
Der Taxifahrer erzählt uns eine Geschichte seiner Nichte, die nicht wusste, dass sie schwanger war, mit Bauchschmerzen auf's Klo gegangen ist und -Zack- ein Kind zur Welt gebracht hat. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, wie sowas geht.
Die Dame am Empfang der Klinik sieht mich nur an und sagt, „Na, Frau Meister, ihr Termin fürs CTG ist aber erst 15:00!“  Ja, Gute Frau, aber ich habe Wehen! Die tun weh! …

13.2.16 13:06
Mein CTG wurde geschrieben. Die Wehen sind gut, aber zu selten. Spazieren gehen sollten wir. 2h! Das habe ich nicht geschafft. Leute ich sag euch, Wehen tun weh. Und das Personal der Klinik war überfordert. Die ganze Zeit.
Habe jetzt auch endlich mein Zimmer bekommen. Kreißsaal 1. Dann kann ich mich endlich auch ein bisschen hinlegen.
Eine Hebamme kommt rein, zeigt mir alles im Zimmer, fragt nochmal nach bezüglich Einlauf, ich stimme diesem zu, auch wenn ich es mir sehr eklig vorstelle, aber besser als dann zur Entbindung selbst meinen Darm ausversehen auszuleeren…

13.2.16 15:00-0:00
Die Zeit vergeht schleppend, die Wehen bleiben unregelmäßig. 17:30 kam meine Freundin Livi noch zu Besuch, die aber ca 20:00 wieder weg geschickt wurde, da 2Personen als Besuch zu viel Stress für mich seien.
Ca 18:00 durfte ich dann in die Badewanne um die Wehen ein wenig in Schwung zu bringen. Funktioniert hat es, plötzlich kamen sie im Abstand von 3Minuten und mein Kreislauf ist in den Keller gerutscht. Also wieder raus aus der Wanne und hoffen, dass er noch an diesem Tag kommt.
Ca 21:00 schickten wie eine Schwester los, die sagte, dass sie mit etwas zu essen holen würde und auch den Wehentropf bereit machen wollte.
Das Essen habe ich bis heute nicht bekommen, den Wehentropf hat sie wohl auch vergessen.

>Hebammen-Schichtwechsel

Die Hebamme der Nachtschicht ist wundervoll. Unterschied wie Tag und Nacht. Sie ist freundlich, zuvorkommend, interessiert und denkt auch an das, was sie sagt.

Kurz nach Mitternacht schickt sie nach dem Anästhesisten, um mir meine PDA legen zu lassen, da die Schmerzen der Wehen mittlerweile nicht mehr auszuhalten sind und ich auch bald den Wehentropf bekommen sollte, der die Wehen noch schlimmer macht.
Der Anästhesist war mein Held. Die Schmerzen waren weg. Alle! Mir ging es so super! Der Papa ist (mit meinem Einverständnis) nochmal nach Hause gefahren, um sich um die Haustiere zu kümmern und evtl selber noch ein wenig zu schlafen.
Ich ging fleißig spazieren, schließlich tat ja nichts mehr weh und ich wollte, dass es bald endlich richtig los geht.

14.2.16 2:23
Es geht los. Zwischen einer und der nächsten Wehe rufe ich mit 2%Restakku den Papa an. Es geht los.
Die Wehen werden wieder stärker. Auch die Schmerzen kommen wieder. Die PDA lässt nach. OK. Da muss ich wohl jetzt durch.
Die Hebamme bereitet alles für die Geburt vor, lässt mich aber nicht allein. Ich bin dankbar dafür. Jetzt muss sie doch kurz raus, entschuldigt sich dafür und eilt los.
Papa ist noch nicht da, wir müssen noch warten!
Die Hebamme kommt wieder, die Wehen werden stärker, der Druck nach unten steigt. Eine zweite Hebamme kommt dazu.
Papa ist noch nicht da. Ich halte das Bedürfnis zu pressen zurück. Auch Hebamme1 sagt, dass wir es schaffen auf den Papa zu warten.
Blick auf die Uhr: 2:34.
Papa beeilt sich bestimmt.
Der Druck wird immer stärker.
Hebamme1 geht raus um zu gucken, ob der Papa da ist, Hebamme2 redet beruhigend auf mich ein.
Hebamme1 kommt wieder. Ohne Papa. Setzt sich wieder auf ihren Hocker.
Die Tür geht wieder auf. Papa ist da. Erleichterung macht sich breit. Jetzt kann es los gehen. Er stellt sich zu mir auf die rechte Seite und nimmt meine Hand, drückt mir noch einen Kuss auf die Stirn. „Gleich hast du dein Baby.“

Die Presswehen sind anstrengend. Man will schreien, darf aber nicht. Raubt zu viel Kraft. Lieber Luft anhalten beim pressen, sagt H1. Ich bin kurz verwirrt, da mir vorher immer gesagt wurde, bloß nicht Luft anhalten, Immer schön atmen während dem Wehen.
Viel Zeit zum drüber nachdenken bleibt nicht. Ich mach einfach was sie sagen. H1 sagt, ich soll noch mehr pressen. Ich frage mich, woher sie wissen will, dass noch mehr geht?! Aber sie hat recht. Nächste Wehe, ich gebe alles.
Die Ärztin kommt dazu. Mir wird erklärt, dass die Fruchtblase noch zu ist, sie aber nach der nächsten Wehe aufgemacht wird um zu vermeiden, dass sie ihm am Gesicht klebt und evtl das erste Atmen erschwert. Ich durfte auch gern mal fühlen, wenn ich will. Ich will fühlen. Die gespannte Oberfläche der Fruchtblase fühlt sich an wie ein mit Wasser gefüllter, warmer Luftballon.  Ich nicke das Öffnen der Blase einfach nur ab, weil sich die nächste Wehe schon ankündigt.
Ich höre ein „Vorsicht, nass“ merke aber kein Nass. Wehe vorbei. Mittlerweile verfluche ich es, wenn die Wehen nur kurz sind. Ich will es hinter mir haben, will endlich mein Baby haben.
Ein paar Wehen später fragt mich die Ärztin, ob ich denn den Kopf mal fühlen will,  sie könne ihn schon sehen. Ich verneine. Nächste Wehe, bald geschafft. H1 sagt, die Anzahl der Wehen sei gezählt. Es fehlt nicht mehr viel. Mir fällt auf, dass ich seit fast 15h nichts gegessen hatte.
Nächste Wehe. Ich will schreien, doch ich darf nicht. Also knurre ich.
„Fast geschafft, fast geschafft, fast geschafft“ schwirrt in meinem Kopf rum. Wehe vorbei. „Fuck it“, sage ich. H1 stimmt mir zu. Ich lache. Die Hebamme ist klasse!
Ein paar Wehen später war es geschafft.

 

13.2.16 3:21
Du bist da. Als ich dich sehe sage ich nur „Mein Baby, mein Baby ist da!“, weine vor Freude, sehe verliebt zu deinem Papa. Deine Nabelschnur wollte er nicht durchschneiden. "Jetzt hast du dein Baby," sagte er.
Die Hebamme ging zur Ärztin und flüsterte ihr etwas zu. Was es war, war mir egal. Mir war alles egal, außer meiner kleinen Familie.
Endlich hab ich dich bei mir. Du wirst mir auf die Brust gelegt, ich halte dich fest und möchte dich trotz dem ganzen Schnodder und Blut an liebsten küssen. Du hast erstmal nichts besseres zu tun als mir deinen Darm auf dem Bauch zu leeren und kurz drauf mich auch noch vollzupinkeln. Aber wie hätte ich für in dem Moment denn böse sein können. Ich hielt dich noch ein paar Minuten so im Arm. 
Dann kam die Ärztin zu mir und zeigte mir deinen kleinen Schönheitsfehler. Erzähle dazu, dass du eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte hast.
Ich war erschrocken. Ich sah dich an und wollte weinen. Ich war wirklich sehr erschrocken. Dein Papa auch.
Die Ärztin sagte, dass wir das ja aber bestimmt schon zur Feindiagnostik gesagt bekommen haben.
Nein. Hatten wir nicht. Wir hatten es nicht gewusst.
Einer meiner ersten Gedanken war „Was habe ich falsch gemacht? Ist das meine Schuld?“ Als ich eben das fragte, sagte die Ärztin, dass ich absolut nichts dafür könne. Dass es absolut nicht meine Schuld sei. Das glaube ich allerdings bis heute noch nicht.
Sie nahmen dich mir wieder weg um dich zu messen und zu wiegen.
49cm, 2970g
Meine Gedanken kreisten. Ich fragte, ob  die nötigen Operationen gezahlt würden oder ob wir die aus eigener Tasche bezahlen müssten, da es ja „nur“ ein Schönheitsfehler sei. Natürlich wird es gezahlt. Sie legten dich mir wieder an die Brust. Ich durfte dich das erste Mal stillen. Dein Papa war ganz ruhig geworden. Ärztin und die Hebammen liesen uns allein.
Wir versuchten es uns schön zu reden. Dein Papa hielt die Familie auf dem laufenden und suchte nebenbei ein Foto eines Schauspielers raus, der ebenfalls eine „Hasenscharte“ hatte. Joaquin Phoenix. Bei ihm sieht man heute nichts mehr davon.
Ein Kinderarzt kam vorbei und sah sich deinen Makel kurz an. Nur halb so schlimm sagte er. Der Gaumen sei geschlossen.
Der Schock saß trotzdem tief.
Und doch liebte ich dich vom ersten Moment an. Dich mit deinen großen dunklen Augen.

Die Verlegung ins Zimmer war dann so gegen 6:00 glaube ich. Dein Papa brachte mich noch hin, fuhr dann aber nach Hause. Schließlich war auch er Hundemüde. Dich hatten sie in ein kleines Bettchen gelegt und mir neben das Bett gestellt.
Es dauerte fast eine Stunde bis ich meine Augen von dir lassen konnte um zu schlafen.
Ich hab dich lieb, mein Sohn. In meinen Augen bist du wunderschön.

 

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